Rede Walter
Vehrs am 31.10.2009
Erinnerungen
sind ein Paradies,
aus
dem man ncht vertrieben werden kann“ !
Das
Lebenswerk von unserem Reeder Axel Bitsch-Christensen ist in diesem
Jahr leider nun vollständig zu einer Erinnerung geworden. Keines
seiner Schiffe existiert mehr. Die erste „Hanseatic“ brannte aus
und wurde in Hamburg abgewrackt. Die zweite „Hanseatic“ - vielen
von Euch auch noch als vertrauter Arbeitsplatz in guter Erinnerung
– versank auf der Schleppreise zum Abbrechen (gemeint sicher:
Abwracken) vor der Küste Süd-Afrikas. Und vor einem guten
dreiviertel Jahr haben wir alle nun auch von unserer „Hamburg“
Abschied nehmen müssen. Mit der bewussten Strandung des Schiffes am
„Schlachthof der Ozeanriesen“ im indischen Alang sollte sich
nicht nur ABC's, sondern nunmehr Euer aller Wirkens- und
Schaffenskreis schließen.
Wenn
auch der letzte Kampf um den Erhalt der „Hamburg“ als Museums-
und Hotelschiff in Hamburg oder an einem anderen Liegeplatz auf
bundesdeutschen Gewässern nicht von Erfolg gekrönt sein sollte, so
haben wir jenen Menschen mit großem Respekt und Dank zu begegnen,
die diesen Einsatz mit Inbrunst und um der Sache Willen geführt
haben. Hierbei gebührt allen voran unseren Gastgebern Horst und
Anke Witt ein ganz großes „Dankeschön“. Die beiden haben sich
nicht einmal davor gescheut, sich auch mit den „großen Tieren“
in Politik und Wirtschaft mittels einer Unterschriftenaktion
anzulegen.
Leider
sollte dieses Unterfangen am Ende nicht unseren Wünschen und
Vorstellungen entsprechen, so dass sich die zeitlos schön anmutende
„Maxim Gorki“ am Ende ohne Passagiere von Griechenland aus auf
den Weg zur Abwrackstrandung nach Süd-Asien machte. Wer hätte es
damals geglaubt, dass diese Überführung so üereilig gehen würde...?!?
Wie
schnell dieses geschehen sollte, daran haben wir Passagiere auf dem
„Willkommensball“ auf der Gala-Abschiedsreise für Phönix-Reisen
nicht im Traum gedacht. Denn in den Wochen vor Antritt dieser Reise
war in den maritimen Spalten der Küstenzeitungen nachzulesen, das
die „Maxim Gorki“ nach Amerika verkauft worden sei.
Dementsprechend hoben wir unsere Gläser und stießen auf eine glückliche
Zukunft „unseres Schiffes“ an. Getreu dem Motto: „Das
Durchschnittliche gibt der Welt ihren Bestand – das Außergewöhnliche
jedoch ihren Wert!“
Während
wir uns auf der Reise von Kreta nach Rhodos befanden, machten plötzliche
wilde Spekulationen über die Zukunft des Liners an Bord die Runde.
Ein Passagier hatte erfahren dass das Finanzkonsortium, welches die
„Maxim“ kaufen wollte, im Zuge der Lehman-Bankenpleite
zusammengebrochen sei. Damit stand unsere „Hamburg“ wieder zur
Disposition. Was würden die Russen nun machen? Manchen Abend lang
haben wir im „Atlantic-Club“ darüber gegrübelt, ob man das
Schiff nicht erst einmal in Odessa auflegen täte. Vorsichtshalber
wollten wir schon einmal den Schornstein sichern! Gleichwohl waren
sich viele der Mitreisenden inzwischen bereits in der Ansicht einig,
dass das Schiff nun vor den Schneidbrennern nicht mehr zu retten
sei.
Und
wenn ich ganz ehrlich bin, ich habe auch nicht mehr daran geglaubt.
Dank meines Freundes Ulrich Gumpert, dem ehem. Funkoffizier, und
Dieter Böhmer und seinen Ex-Kollegen aus der Küche, sowie Brigitte
Schäfer aus dem Pursers-Office, wurde ich wenigstens auf diese
Reise erst- wie letztmalig noch ganz fix in die vielen Geheimnisse
der „Hamburg“ eingeweiht. Wir sind in Ecken des Schiffes herum
gekrochen, welche jedem anderen zahlenden Fahrgast mit Sicherheit
niemals in dieser Art gezeigt worden sind. Ich war in
der Küche, im Maschinenraum- und Fahrstand, in der Funkbude,
im TV-Studio und sogar im Bereich der Rudermaschine. Des Nachts
spazierten Uli und ich zumeist über die menschenleeren Decks und
hinter oft unverschlossene Türen – und so manche wunderschöne
Geschichte rief sich ihm hierbei in Erinnerung.
Lief
man durch das große Foyer, dann konnte man meinen, dass hinter den
beiden Tresen der Reiseleitung und des Zahlmeisterbüros jeden
Moment ein Rolf Marx, ein Ewald Godehus oder ein Willi Pohl
hervortreten könnte. Oder ein Hellmut Gergs oder Gerhard Pukrop,
welcher einen Obersteward Horst Witt per Durchsagen zum
„Dienstgespräch“ bittet. In den Restaurants sitzend, konnte man
meinen, ein Chefkoch Becker oder Wolkenhauer würde die Gäste
willkommen heißen – und last but not least – am Kapitänstisch
hätte man einen Helmut Bender vermuten können – wie im „Atlantic-Club“
die Kings oder Sonja Michael und die „Gents“! Es hatte sich im
Grunde an der Raumaufteilung ja nichts verändert.
Diese
bildete nun einmal Euer aller Arbeitsplatz. Und da sich dieses einst
so wunderschöne Schiff von außen wie innen kaum verändert hat, lässt
es sich auf beeindruckende Weise nachvollziehen, wie sich Euer
damaliger Tagesablauf gestaltete. Ich konnte mir die Tätigkeit des
Nautikers auf der Brücke plötzlich genauso vorstellen wie Eure
anstrengende Arbeit im Bereich des Hotelbetriebs, des Service und
der Küche. Allein deren Einrichtung sah aus,wie unlängst erst
eingebaut. Nur der Hackklotz und die Bandsäge waren nicht mehr
vorzufinden. Diese waren für den Küchenbetrieb eben nicht mehr
erforderlich, da für die Mahlzeiten nur noch ausschließlich
Portionsware Verwendung fand.
Ich
habe die gewaltige Maschinen- und Turbinenanlage bei voller Fahrt
bestaunt, welche vom Wachpersonal keinen Moment lang aus den Augen
gelassen wurde. Wir hatten unseren Spaß im Frisiersalon und in der
Boutique, am Pool und im Lido Cafe. Wir stellten fest, dass man sich
als kranker Passagier besser nicht der russischen Medizin
anvertraut, sondern eher einem indianischen Medizinmann. Wenn nicht
gleich besser einem karibischen Voodoo-Zauberer. Und aus der Küche
wünscht sich unser Freund Uli Gumpert nicht mehr als ein früher
gewohntes, frisches und knackiges Brötchen. Leider konnte ihm der
Chefkoch Dino Schwager diesen Wunsch nicht erfüllen – man hatte
auf dieser Reise keinen gelernten Bäcker mehr an Bord. Ein Umstand,
welcher zu Euren Zeiten auf den Weltmeeren, egal zu welchem
Zeitpunkt, absolut undenkbar gewesen wäre.
„Den
Wünschen der Passagiere ist in jedem Falle und unter Ausschöpfung
sämtlicher nur denkbarer Möglichkeiten zu entsprechen!“ So
lautete die schriftliche Direktive ABC's – vor jedem Auslaufen zu
einer neuen Kreuzfahrt. Sein handschriftlicher Zusatz „Falls
extravagante Wünsche der weiblichen Passagiere erfüllt werden, möchte
ich auf gar keinen Fall davon erfahren!“
Überhaupt
sollten es die Kleinigkeiten sein, an denen man erkennen konnte, was
die „Hamburg“ einst einmal ausmachte. Die Kabinen befanden sich
noch im gleichen Zuschnitt und Möblierung, wie bei ihrer Übergabe
an die Sowjets 1974. Manche der alten Besatzungsmitglieder, welche
die letzte Fahrt des Liners mitmachten, erkannten sogar einige der
Tischdecken wieder, welche sie selbst einst noch aufgelegt hatten.
Sogar
die aufgemalte große „Sonne“ am Ende der Galerie „strahlte“
noch dort von der Wand, an der sich im Laufe der Jahrzehnte bestimmt
tausende Passagiere mit ihr ablichten ließen. Natürlich kamen uns
allen die Korbstühle im Wintergarten sofort sehr bekannt vor. Im
TV-Studio stand noch derselbe Moderationstisch, an dem bereits
Richard Wünsch, Harald von Roque de Maumont, Horst Braun oder
Carlheinz Hollman einst Platz nahmen. Und in der Kammer des
Funkoffiziers war immer noch Uli Gumperts Spezial-Ehebett in
Benutzung, welches als Sonderanfertigung nach dessen Eheschließung
der bordeigenen Schiffszimmerei entstammt. „Bestes Bett an Bord
– ich schlafen gut!“ sagte der Funkoffizier bei unserem Besuch
an seinem Arbeitsplatz . „Dörte, guck mal, der haut sich in
unsere Koje – ich fasse es nicht!“, konnte Uli jetzt nur noch
feststellen.
Was
für mich zu den schönsten Erinnerungen an Bord zählte? Ganz
einfach: Die Badewanne! Welcher Passagier wird sich heute auf einem
anderen Fahr- gastschiff in einer Innenkabine noch in einer
Badewanne fläzen können ….? - Es gibt jetzt keines mehr!
Seien
wir alle daher dem Herrgott dankbar dafür, dass e i n Ereignis
für unsere „Hamburg“ niemals eingetreten ist, für dessen Zweck
der Einbau von Badewannen überhaupt notwendig wurde. Kaum einer
unter Euch wird sich wohl je Gedanken darüber gemacht haben,
weshalb die Gänge an Bord so breit und die Salons so groß waren
– und die Kabinen-Zuwegung so gradlinig verlief.
Unsere
„Hamburg“ war nämlich – wenn auch unter Zwang der
Bundesregierung – im Ernstfall als Lazarettschiff vorgesehen. Der
versiegelte Umschlag mit dem Verschlüsselungscode lag bereits bei
der Jungfernfahrt in der Funkbude im Safe.
So
musste die „Hamburg“ diesen gewaltigen, kaum anderweitig
nutzbaren Raum bereits in Bauplanungs- und -phase vorhalten. Viel
ließ sich mit ihm nicht anfangen; außer, dass man vielleicht ab
und an einen Helikopter auf dem Sonnendeck hatte landen lassen oder
innerhalb des Dampfers die legendären Polonaisen „abzog“. Wer
sollte es sich auch vorstellen können, dass die beiden großen
Salons im Kriegsfalle zu OP-Sälen hätten werden müssen; und der
„Helgoland Club, das „Bridge-Zimmer“, der „Twen“
- wie auch der “Alster-Club“ zu Bereichen der
intensiv-medizinischen Betreuung. Allein aus diesem Grunde waren die
Gesellschaftsräume aneinander gereiht – und hätten sich im
Ernstfall bereits ab
dem Treppenhaus mittschiffs mit wenigen Umbauten in einen
Sperrbereich verwandeln lassen.
Allerdings
hatte ABC – wie wir ihn kennen – für den Ernstfall bereits eine
reederei-interne Alternative in der Schublade. Diese beinhaltete die
Internierung der „Hamburg“. Denn der Einmarsch der Russen in die
Tschechoslowakei 1968 lag bei
Antritt der ersten Fahrt nach Süd-Amerika gerade einmal ein halbes
Jahr zurück. An den Grenzen des „Eisernen Vorhangs“ standen die
Divisionen der jeweiligen Verbündeten in Ost und West, und wäre
die „Knallerei“ losgegangen“ - wie ABC immer zu sagen pflegte
– so wollte er „unser“ Schiff nicht sogleich für sinnloses
Blutvergießen opfern.
Axel
wusste allzu genau, was sich in jenen Tagen gerade auf dem ehem.
Seebäderschiff MS „Helgoland“ abspielte, welches bereits als
Lazarettschiff in Saigon und später Da Nang für das Internationale
Rote Kreuz die Verwundeten des Vietnam-Krieges betreute.
Es
würde an dieser Stelle zu weit führen, wollte ich Euch Eure
Internierungshäfen nennen wollen. Aber Ihr hättet Euch nicht
wundern dürfen, wenn Ihr in Cartagena/Kolumbien, Abidjan/Elfenbeinküste
oder Papeete/ Tahiti hättet in Schutzhaft gehen müssen.
Jetzt,
genau vierzig Jahre später, werden sich bestimmt die Inder in Alang
während der Zerlegung unseres Flaggschiffes darüber gewundert
haben, dass so viele Sauerstoff-, Wasser- und Elektroverbindungen
unter den Gummi-Schwingböden in den Salons zu Tage gekommen sind.
Selbst diese Böden waren seinerzeit ein Novum – und Ergebnis
intensiver Versuche, die Lautstärke eines Ballabends nicht auf die
Kabinen übertragen zu lassen. Von dem Vorhandensein edlem
Niro-Stahls einmal ganz zu schweigen, welcher hinter mancher
Wandverkleidung freigelegt sein dürfte. Alle diese Einrichtungen
waren nicht einmal in den normalen Bauplänen der „Hamburg“
verzeichnet. Und ich glaube auch nicht, dass die Russen diese Pläne
dem Dampfer auf seiner letzten Reise mitgegeben haben. Falls die
Chefs der „Blacksea-Steamshipping-Company“ mit Sitz in Odessa
seinerzeit diese ganz speziellen Pläne überhaupt in die Hand
bekamen.
Seien
wir aber dafür dankbar, dass vor genau 20 Jahren auf unserer
„Hamburg“ jene Pläne geschmiedet wurden, welche letztendlich
zur Wiedervereinigung Deutschlands führen sollten. Das Treffen der
Präsidenten Bush und Gorbatschow 1989 an Bord der „weißen
Lady“ vor der Insel Malta wird untrennbar mit der Schaffung von
ein wenig mehr Weltfrieden verbunden bleiben. Wie sprach ABC einst
zu Pucki und mir: „Stellt Euch einmal vor: Da sind die beiden mächtigsten
Männer der Welt auf meinem Schiff und machen Frieden!“
Beinahe
hätte auch die, unsere „Hamburg“ im Eismeer ihren Frieden auf
dem Meeresboden gefunden, als sie sich in der Nacht vom 19. auf den
20. Juni 1989 vor Spitzbergen im dort vorherrschenden Eisfeld den
Schiffskörper aufreißt. Dass sie über der Wasserlinie bleibt, ist
hier allein zwei Dingen zu verdanken.
Zum
einen der russischen Besatzung, die überlegt um ihren Dampfer kämpft
– und zum anderen der Tatsache, dass im Vorschiff nicht mehr der
ursprünglich für den Transatlantik-Verkehr geplante Laderaum,
sondern das Innen-Schwimmbad mit dem angrenzenden Sauna-Bereich
installiert ist. Als Axel den Liniendienst zwischen Deutschland und
den USA 1968 an den Norddeutschen Lloyd abtritt, ist für die
„Hamburg“ kein spezieller Laderaum für Transportgut mehr vonnöten
– und ein idealer Platz zum wetter- unabhängigen Plantschen und
Schwitzen gefunden.
Dieser
Bereich erforderte allerdings eine spezielle Schottenanlage, welche
nicht nur dem Feuer – sondern vor allen Dingen dem Wasser
standzuhalten hatte. Diese Schotten haben dem Druck standgehalten
– wären die normalen Feuer- und Wasserschotten installiert
gewesen, unsere „Hamburg“ wäre in dieser Nacht kaum über
Wasser geblieben. ….!
Auch
Euret wegen sind genau diese Schotten einmal in einem Ernstfall
geschlossen worden. Erinnert Ihr Euch noch an den Brand in der
Sauna, wo die Fußball-Mannschaft zuvor ihre Klamotten zum Trocknen
über den Saunaofen hängte? Wobei man sich erinnere, dass der Ofen
direkt über den Treiböltanks stand. Selbst Axel konnte sich genau
daran erinnern – und so verschaffte dieser Vorfall den
Verantwortlichen an Bord im wahrsten Sinne des Wortes und in jeder
Beziehung „heiße Füße“!
Ach,
so viele Geschichten könnte man noch beschreiben, wollte man
unserer schönen „Hamburg“ in jeder Hinsicht gerecht werden. Zum
Beispiel, wie man Kapitän Bender für den offiziellen Besuch
Odessas trinkfest machte. Oder Eisschnellläufer Erhard Keller die
Einladungen zur Olympiade in München an die Länder Westafrikas überbrachte.
Oder die legendären Zusammentreffen der „Hanseatic“ in La
Guaira oder Curacao.
Dieser
Abend alleine ist zu kurz dafür. Also schaffe ich nunmehr Raum für
Eure eigenen Erinnerungen an manche Reise zwischen Nordkap und Südsee;
zwischen Rio und Kapstadt, zwischen New York und Beirut – wie Los
Angeles und Tokio. Genug erlebt haben wird die Besatzung zwischen
dem 20. März 1969 und dem 1. Dezember 1973. Ihr werdet bestimmt mit
mir darüber übereinstimmen, wenn ich sage: „Die Karibik war
schon ein Wunder – aber die Salomonen längst ein Traum!“ Im
Zeitalter des Massentourismus vielleicht eine Phrase – aber Ihr
ward schon dort, als der Normalbürger Curacao noch für einen Likör
und Nuku Hiva für eine Zigarrenmarke hielt.
„Wir
haben mit unseren Schiffen von der ersten bis zur letzten Minute
einen Traum gelebt!“ sagte ABC oft als geflügeltes Wort. Heute
Nacht wird er nun für uns alle enden. Was bleibt, das sind die
Erinnerungen! Und:
„Erinnerungen
bleiben ein Paradies, aus dem man nicht vertrieben werden kann!“
„Farewell TS Hamburg“ - - - - - - Und ich war jetzt
endlich auch dabei !…........