Fast
allgemein stellt sich der Landmensch unter der Bezeichnung
"Äquator" eine Gegend vor, in welcher die Sonne von sechs Uhr
Morgens bis sechs Uhr Abends ununterbrochen am ewig klaren Himmel steht,
wo es zwar am Tage recht warm ist, aber herrliche Abende und noch
schönere Nächte voll balsamischer Lüfte und Düfte einen Vorgeschmack
vom Paradiese geben.

N ichts falscher als das! Zwar
kann es so sein. Im Indischen Ozean z. B. und auch im Pazifik kommen
"unter dem Äquator" Tage und Nächte vor, die das also benannte
herrliche Bild, das sog. "blaue Wunder", des verstorbenen Eduard
Hildebrand vollauf rechtfertigen. Aber im Atlantischen Ozean erweist sich
die Äquatorregion durchweg als eine der unangenehmsten für den Seemann.
Trübes "schmieriges" Wetter, dicke Luft, Gewitterböen,
umspringender Wind und durcheinanderlaufender Seegang sind an der
Tagesordnung und halten die Besatzung, zumal die der unter Segel fahrenden
Schiffe Nacht und Tag in atemloser Arbeit.
D as ungemütliche Wetter
tritt schon längere Zeit vor der Passierung der Linie ein, denn der
hübsche Luftzug, den Mutter Erde bei ihrem rasenden Laufe um sich selber
von Ost nach West erzeugt und der unter dem Namen der Passatwinde bekannt
ist, dieser selbe Luftzug reißt aus den Meeren eine Menge Wasserdünste,
die noch dazu mit Elektrizität geladen sind, mit sich fort und schiebt
sie nach dem Äquator hin ab. Hier sammeln sich die Dünste in einem viele
Hundert Meilen breiten Gürtel und verhängen fast ständig den blauen
Himmel und die lachende Sonne.
U nsere Seeleute aber, sowohl
die von der alten Schule, die noch zur Segelschiffahrt schwören, wie auch
die, welche auf den Kreuzerfregatten unseres Deutschen Reiches Kraft und
Herrlichkeit weit über alle Meere und in die fernsten Länder
hinaustragen und verkünden — sie sind trotz der schlechten Laune der
Wind- und Wettergeister in allerbester Stimmung, ertragen die Quälereien
und Quengeleien der Unteroffiziere und des bärbeißigen Bootsmannes mit
heiteren Mienen und bemühen sich aus wichtigen Gründen aufs Neuerste, zu
keinem Tadel Anlaß zu geben. Niemals passen die Matrosen strenger auf
ihren Dienst, als wenn sich das Schiff der "Linie" nähert;
wissen sie doch, daß jede Nachlässigkeit, jede Versäumnisvon den
geheimen Agenten Neptuns vermerkt wird und ihre Vergeltung findet an dem
Tage, wo die Residenz des alten Meeresfürsten, nämlich der Äquator,
passiert wird. Auch die "Säuglinge", d.h. Diejenigen, welche
zum ersten Mal und daher mir einer gewissen Spannung dem
"Strich" entgegensehen, merken die Vorbereitungen zu etwas
Außerordentlichem; aber da sie nur einen "bannigen Spaß"
vermuten, so freuen sie sich, ohne zu bedenken, daß sich der Spaß gegen
sie selber und ihre Fehler kehren könnte.

D a findet der Bootsmann in
der Ecke der Anrichtkammer eine Back mit eingeweichten Tischtüchern
stehen, die durch ihren Geruch nach der reinigenden Hand des
Kajütenjungen förmlich schreien.
"Do büst jo woll noch nicht dösst (getauft), min Jung?" fragt
der Alte grimmig, indem er den jugendlichen Unterlassungssünder kräftig
beim Ohre zieht, "da möt wi nachholen, täuf man!"
M it dieser Drohung wird der
"Junge" entlassen, und dieser glaubt die Sache völlig abgetan.
Er hat sich aber geirrt. Sein Versehen oder vielmehr die Faulheit im
Dienst wird ihm keineswegs geschenkt, sondern später bei der
"Taufe" noch gehörig angekreidet werden!
D a ist auch der Leichtmatrose
Christian Jens Jensen, dem es während der Frühwache auf dem Ausguck vor
dem Fockmast passierte, daß seine angestrengten Augen ein Bißchen
ausruhen wollten. Kaum aber hatte der Brave die Augendeckel ein wenig
zugemacht, so kam von oben her aus Himmelshöhen ein fürchterlicher
Wasserschwall über ihn gestürzt, und eine fürchterliche Stimme
schrie:"Übeltäter, wehe über Dich! Dat gifft de Nottaufe!"
D a aber der so unsanft
Geweckte, nachdem er sich die triefenden Augen ausgerieben hatte, durchaus
nichts Verdächtiges ringsumher wahrnehmen konnte und auch am nächsten
Tage die Gesichter der Kameraden ganz unbefangen dreinschauten, so glaubte
er schon einem bösen Traum zum Opfer gefallen zu sein. Wenn nur nicht ein
so merkwürdiges wisperndes und bastelndes Getue an Bord gewesen wäre!

D ie altgedienten Maaten und
hartgesottensten Seebären verrichten ihren Dienst unter fröhlichem
Schmunzeln und allerlei Hindeutungen auf ein bevorstehendes großes
Ereignis; überdies ist Jeder bereit, seine Freizeit für allerhand
närrischen Hantierung zu opfern. Im Mannschaftsraum werden mancherlei
nicht zum Dienst gehörige Dinge sichtbar, z. B. große Pappdeckel,
Goldpapier, buntes Lappen- und und aufgedrüseltes Tauwerk; daneben ein
Leimtopf, der sich, um seinen Inhalt flüssig zu halten, fortwährend auf
dem Wege zur Kambüse (Küche) oder zurück in den Mannschaftsraum
befindet.
E ndlich bricht der Vorabend
des großen Tages an. Am Spätnachmittag sind "alle Hände auf
Deck" gepfiffen worden, weil aus dem schweren Wolkengewirr eine
Gewitterbö losbrach, die das Kürzen der großen und Festmachen der
kleineren Segel nötig machte. Nachdem aber die Bö abgewettert ist und
ein "einigermaßenes Gleichmaß" im Gang des Schiffes
hergestellt ist, beginnt ein seltsames Huschen und Hasten durch den
mächtigen Bau. Man hört hier ein verstohlenes Kichern und dort ein
unterdrücktes Lachen in Brummtönen. Plötzlich — die Schiffsglocke
meldet gerade "3 Glasen", 5 Uhr 30 Minuten Nachmittags —
entsteht eine große Bewegung unter der Mannschaft.

" Wat
is denn los? Wat schall dat wol sin?"
"Keen Deibel nicht hatt seine Ruh up dit verdammte Schipp!" So
fragen und raisonnieren die "Säuglinge" durcheinander, d.h.
Diejenigen von der Besatzung, welche noch niemals den Äquator passierten.
Da ertönt von Lee der aus der unergründlichen Tiefe der kräftige Ruf:
"Schipp ahoi!" Alles stürzt an die Backbordseite, um die
Ursache des unheimlichen Rufes zu erspähen.
"Schipp ahoi!" tönt es abermals aus den Wogen.
"Wer da?" fragt der Kommandant oder der Kapitän zurück.
"De hoche Gesandtschaft von de "solten" (gesalznen)
Majestät Neptun will ehr Reverenz maken."
"Na, denn ma to! Se kann an Bord kommen!"
N achdem die Erlaubnisgegeben,
legt gleich darnach ein Boot an der Leeseite an. Wohlweislich sind die
Segel des Schiffes derart gestellt und zum Teil dicht eingerefft daß das
gewaltige Fahrzeug möglichst ruhig liegt und nur sehr geringen Fortgang
hat. Der alte Seemannsscherz kann also ohne hemmenden Zwischenfall in
Szene gesetzt werden. Zunächst entert eine Gestalt aus dem Boote in die
Höhe an Bord des großen Schiffes, die eine merkwürdige Ähnlichkeit mit
dem Bilde eines altgermanischen Barden hat, ein weites bis auf die Füße
reichendes Hemd, das um den Leib durch ein Strick zusammengehalten wird,
ein wettergebräuntes Gesicht, von einem dickfaserigen weißgelben Bart
umrahmt, und auf dem Haupte einen grellgrünen Kranz, von dessen Blättern
schwer festgestellt werden könnte, aus welchen Strauch sie gewachsen.
E inige weitere mehr oder
weniger phantastisch aufgeputzte Figuren folgen dieser Gestalt, die sich
mit gravitätischem Schritt zu dem gerade auf Deck anwesenden
Höchstkommandierenden begibt, hier ihren schönsten Kratzfuß macht und
sich als Triton, der Gesandte Seiner Majestät des Beherrschers aller
Meere Neptun vorstellt, dem es in seinem Wellenschloß da unten vor den
Grenzposten, den Delphinen, hinterbracht worden sei, daß sich an Bord
dieses ehrenwerten deutschen Schiffes etliche "Säuglinge"
befänden, welche die Taufe noch nicht empfangen hätten. Und darum würde
dem hoch und höchst geschätzten Kommandierenden dieses Schiffes hiermit
kund getan, daß Herr Neptun morgen im Tage, wenn die Höhe seines
Reiches, nämlich der "nullte Grad" erreicht wäre, selber an
Bord erscheinen würde, um die Taufe besagter unmündiger Säuglinge
vorzunehmen.

W ährend dieses Vorspiels hat
sich natürlich die ganze Schiffsmannschaft zusammengedrängt, um ja kein
Wort von dem Dialog zu verlieren. Einzelne kritische Bemerkungen werden
aus dem Haufen laut: "De Triton hett jo Fuchtenstäveln an! Wenn dat
man god afgeiht!"
"Kiek man, wo ehm de Krutkranz*1) steiht!"
"Sien Bart löppt ok noch up de irsten Stoppeln!"
"Wenn de Majetät Neptun man 'n gehörigen Grok mitbringen wull, denn
wäre dat jo moje!"
I n dieser Tonart geht es
weiter, bis es der hohen Gesandtschaft zu viel wird. Triton macht seine
Abschiedsverbeugung gegen den Schiffsführer wie die Offiziere und wendet
sich zur Reeling. Ehe er aber den Fuß außenbords festsetzt, brummt er
ingrimmig durch die Zähne:
"Schandtüg Ti! Nich mal vör de Majestät hesst Ti Respekt! Na, da
soll doch gleich das Tauende über die Rücken tanzen!"
B evor der Gesandte mit seinem
Geleit den Rückzug antritt, rafft er all seine Würde zusammen, stellt
sich in Positur und hält ungefähr folgende Abschiedsrede: "Meine
Herrens!"
"Hört! Hört!" ruft eine vorwitzige Stimme aus der
Zuschauerschaft. Triton aber sendet dem Störenfried nur einen
vernichtenden Blick zu und fährt fort: "Meine Herrens! Sie sehen in
meiner Person eine höchst respektable Person, indem ich der erste
Minister bin von die große Majestät aller Meere, nämlich von Neptun
selber! Sollten Sie daran noch zweifeln, dann scheeren Sie sich man zu
allen Teufeln! Damit Sie mich aber beim Abschied wirklich erkennen, laß
ich Feuer und Licht um mich brennen."
Triton und seine Bande verschwinden.

I m selben Moment erscheint
leewärts dicht beim Schiff ein von flammender Lohe umgebenes
"Boot", welches Triton mit den Seinen besteigt und davonfährt.
Natürlich ist's eine Teertonne oder ein mit Werg gefülltes Petroleumfaß,
das im richtigen Augenblick angezündet und der See übergeben wird; aber
die Täuschung gelingt vollkommen und ruft jedes Mal einen tiefen Eindruck
hervor. Das glühende und sprühende Ding schaukelt im Kielwasser, und je
dunkler die Nacht sich herabsenkt, um so greller züngeln die Flammen
empor. An der Reeling achterwärts stehen Schiffsführer, Offiziere und
Besatzung, in buntem Gemisch , schauen stumm auf den lodernden Feuerball,
de mehr und mehr auf dem dunkelnden Wasser zurückbleibt, bis er in der
rasch zunehmenden Finsternisnur noch wie ein Fünkchen erscheint und
endlich in den nächtlichen Fluten gänzlich erlischt.
N ur ein fröhliches
Possenspiel ist's, was sich da abspielt, und doch hat sich jetzt aller
Beteiligten eine ernste, beinahe schwermütige Stimmung bemächtigt.
N achden der letzte Funken auf
dem brausenden Wasser verglommen, wird zum Abendessen gepfiffen. Hinten
und vorn im Schiff wird jetzt tüchtig "geschafft", d.h.
gegessen, aber es fehlt das muntere Gespräch, welches der Seemann bei der
Mahlzeit liebt. Als Jens Jensen, der Leichtmatrose, dem die melancholische
Stimmung gar zu unbequem wird, seine Ziehharmonika vornimmt, um einen
"Lustigen" aufzuspielen, wird er so böse angeschnauzt, daß er
sofort den "Lustigen" fallen läßt und nach einigen unsicheren
Griffen das unvermeidliche "Ich weiß nicht, was soll es
bedeuten" anstimmt. Das wirkt auf Alte und Junge. Sie brummeln mit,
bis sich Einer nach dem Andern davonschleicht, um in seiner Koje die Decke
über die Ohren zu ziehen und von Muttern oder vom Liebchen zu träumen.
A m anderen Morgen ist
freilich von der sentimentalen Anwandlung keine Spur mehr vorhanden. Der
Tagesdienst geht vielmehr seinen gewohnten Gang. Doch wissen die
Eingeweihten sehr wohl, daß "von oben her" der Dienst an diesem
Tage sehr einfach sich gestaltet und mit Nachsicht gehandhabt wird - auch
die Schnelligkeit des Schiffes darunter einige Einbuße erleiden -, und so
kommt es denn, daß die Maaten, bis zum Bootsmann hinauf, Zeit zu den
Vorbereitungen der eigentlichen Taufe finden. Es gehört dazu wie zu jeder
echten rechten taufe: Wasser, Wasser, viel Wasser sogar. Dementsprechend
werden auf dem Vorderdeck Kübel und Tonnen mit Seewasser gefüllt,
Schläuche zurechtgelegt und Spritzproben angestellt. Es geschieht sogar
das Ungeheuerliche, daß unversehens ein strammer Wasserstrahl das Gesicht
eines "Badegastes"*2) oder die Breitseite eines flüchtig
enteilten Passagiers trifft.

I nzwischen werden unter der
Mannschaft im Roof und auf der Back allerhand Ansichten darüber
ausgetauscht, wann eigentlich wohl der große Moment, nämlich das
Überschreiten des Äquators, stattfinden werde. Die Meinungen sind
geteilt. Während die vorwitzigen "Säuglinge" natürlich der
Ansicht sind, das diese Tatsache bereits erledigt wurde im selben
Augenblick, wo Triton mit feuriger Lohe in sein nasses Vaterland
zurückfuhr, setzen die älteren Matrosen eine überlegene Miene auf,
lächeln höchst diplomatisch und lassen allerhand Bemerkungen fallen, die
weder für noch gegen die Sache sprechen.
D er Wahrheit gemäß weiß es
vom niederen Schiffsvolk kein Einziger — alle ahnen es nur halb und
halb, höchstens, daß ein Unteroffizier oder ein Bootsmann näheren
Aufschluß geben könnte, weil diese Herren eine Art Vermittelungsstufe
zwischen dem "Volk" und der "höchsten Instanz"
einnehmen und dementsprechend sowohl Einsicht in die astronomischen
Berechnungen und Aufzeichnungen haben wie auch Verständnis für die
Bedürfnisse der Unterstehenden besitzen. Aber sie schweigen entweder ganz
oder ergehen sich in so geheimnisvollen Andeutungen, daß schließlich bei
den Neugierigen die Überzeugung Platz greift, jenseits der berühmten
"Linie" müsse ja die Welt auf dem Kopfe stehen, und das würde
natürlich jeder von ihnen gleich sehen. Eins jedoch steht schon fest:
dies ist für alle Beteiligten der lustigste Tag der ganzen Reise. Bei
Denjenigen, die sich die schnöde Bezeichnung "Säugling"
gefallen lassen müssen, weil sie die imaginäre Grenzlinie noch nicht
überschritten haben, ist nachgerade eine gewisse Unruhe und Ungeduld
eingetreten, die aufs Tüpfelchen der ungeduldigen Erwartung unerwachsener
Menschenkindlein am Weihnachtsabend gleicht.
E ndlich, endlich — die Zeit
des Mittagsessens ist vorüber, daher die Stunde günstig — erschallen
Trompetentöne vom Bug des Schiffes her. Natürlich läuft Alles, was
Beine hat, auf Deck zusammen, sogar die Offiziere und der Kapitän
bemühen sich aus ihren Kajüten herauf und haben ein wohlwollendes
Lächeln für den alten Spaß.
D a naht auch schon der
"Taufzug". Voran natürlich die Musik, die, dem Charakter und
der Größe des Schiffes angepaßt, sowohl eine gutgeschulte Kapelle sein
kann wie auch einer "Katzenmusik" zum Verwechseln ähnlich
sehen; die beliebtesten Instrumente sind dabei unter allen Umständen: die
Ziehharmonika, die "Kessel"pauke nebst dazugehörigem Topfdeckel
und der Triangel. Der alte Meergott selber trägt einen wallenden Mantel,
der in etwas auffälliger Weise an ausrangiertes Material aus der
"Flaggenkiste" erinnert; dazu eine Krone aus Goldpapier und als
Szepter eine aufgestielte dreizinkige Harpune. Neptun bemüht sich
ersichtlich, recht würdevoll einherzuschreiten, und sein lustiger
Hofstaat sucht es ihm gleichzutun; besonders der mit Scheere und
Putzmesser bewaffnete Barbier und der sein riesiges Protokoll Buch mühsam
fortschleppende Sekretär seiner feuchten Majestät schreiten mit großem
Anstand hinterher.

N achdem der ganze Zug bis an
den Großmast vorgerückt ist, schweigt auf ein von Neptun gegebenes
Zeichen die Musik, der Beherrscher aller Meere verbeugt sich vor dem
Kapitän und den Offizieren und hält eine Ansprache, in der es wimmelt
von Anspielungen auf das Schiffsleben im Allgemeinen wie auf Zustände und
Personen an Bord im Besonderen.
"Neptun grüßt Euch, Ihr liebe deutsche Herrn!
Warum bliebt Ihr so lange meinem Reiche fern,
Wo doch ein deutscher Fürstensohn,
Gewiesen Euch die Wege schon
Vor mehr als zweihundert Jahren?
seid stille! ich kenne den alten Tratsch!
Kanonen! Kanonen! wird immer gequatscht,
Wo aber bleiben die "Waaren"??
Es könnte mir fast die Laune verderben!
Doch lieber will auf dem Trockenen ich sterben,
Eh' daß ich euch tät verdrießen.
Weiß ich doch, daß Ihr das Möglichste tut.
Und Deutschland mag unter Eurer Hut
In Ruhe der Ruhe genießen.
Ich bin mir
bewusst der hohen Ehr'
Und trage auch weiter kein Begehr,
Und trage auch weiter kein Begehr,
Als die alte Freundschaft neu zu begießen.
So trefflich nun auch dieses Schiff mag sein,
Es leben drauf etliche Kindelein,
Die in den Windeln noch liegen.
Damit sie die rechte Taufe empfangen,
Bin ich hier in meiner Herrlichkeit Prangen,
Daß die Salzwasserwihe sie kriegen —".
In diesem Tone geht es fort. Den Faulen und Schlafsüchtigen, den
Unreinlichen, wie auch den Unverträglichen, wird ein scharfer Spiegel
vorgehalten und ihnen Besserung anempfohlen.
E ndlich wird zur Tauftoilette
geschritten. Gutwillig wollen sich die Täuflinge, denen jetzt eine Ahnung
ihres Schicksals aufdämmert, nicht dazu verstehen; sie müssen daher
durch "Polizeigewalt" der Prozedur unterworfen werden. Dies ist
der Moment, wo der Übermut seinen Höhepunkt erreicht. Unter allgemeinen
Hallo und Hurra wird jeder Täufling extra vorgenommen. Der eine wird auf
ein Brett gesetzt, daß über einer wassergefüllten Kufe liegt, mit einem
rostigen Bandeisen "rasiert" und mit einer riesigen Scheere
"frisiert", wobei die die gefüllten Spritzenschläuche ihren
Inhalt auf den Unglücklichen loslassen und schließlich auch das
Sitzbrett durchbricht, so daß der Täufling in das kalte Wasser plumpst.
Ein anderer, der als richtiges Leckermaul bekannt ist und keinen
Syrupstopf ungeschoren lassen kann, muß sich etliche
"Magentropfen" einschütten lassen, die natürlich aus Seewasser
mit Essig gemischt bestehen. Ein dritter endlich, es ist die Schlafmütze
Jens Jensen, wird an ein großes Fernrohr genötigt, damit er das
"Sehen" lerne. "Herrgott, ick seih wahrhaftig den
Äquator," schreit er plötzlich auf. Er hat in seiner Unschuld das
in die untere Öffnung des Fernrohrs eingeklemmte Haar für eine
natürliche Trennungslinie zwischen Nord und Süd unseres Erdballs
gehalten. Ein brüllendes Gelächter antwortet ihm, und als er ganz
verdutzt noch einmal durchschauen will, gießen ihm liebende Hände einen
Wasserschwall oben in das Rohr, das schon längst seine Gläser
eingebüßt hatte. Er schluckt und sprudelt und schlägt blindlings mit
armen und Beinen um sich, während seine Peiniger sich halbtot lachen.

U nterdes hat mittschiffs, so
in der Gegend des Großmastes, allwo der Respekt vor dem
"Hinterdeck" beginnt, eine andere Kumpanschaft den
berüchtigtsten Schmierfinken des Schiffs, nämlich den Kajütenjungen, in
der Mache. Offen gestanden ist von oben herab, so auf ganz zufällige
Weise, etwa bei Tisch oder beim Nachmittagsgrog, ein leiser Wink gegeben
worden, daß dem Bengel, dem Steward, eine gehörige Taufe nicht schaden
können, damit er endlich den Unterschied zwischen einem nicht näher zu
bezeichnenden Rüsseltiere und einem anständigen Menschen lerne. Das
lassen sich die übermütigen Maate nicht zweimal andeuten, und dem
unglücklichen Kajütenjungen klappern jetzt alle Zähne in der Erinnerung
an die vernachlässigten Tischtücher und viele andere Sünden gegen die
Gesetze der Reinlichkeit; jeder Schmutzfleck, jedes ungespülte Glas,
jedes Krümchen auf des Herrn Kapitäns Serviette wird zum Ankläger. Alle
Selbstanklagen helfen aber jetzt nicht mehr, die Nemesis, oder vielmehr
Neptuns Schergen haben ihn schon beim Kragen. Er wird ohne Erbarmen zur
Richtstätte geschleppt, allwo ihm der Sekretär das Protokollbuch unter
die Nase hält und daraus mit pathetischer Erhebung der Stimme alle
Straftaten des Inkulpaten laut vorlest. Ein Faß mit Seife und scharfer
Lauge steht auch schon bereit. Unter allerlei tollen Kapriolen geht nun
die "Wäsche" vor sich, aus welcher der Junge zwar rein und
blank wie ein frischgeschältes Ei, aber auch rot wie ein gesottener
Hummer hervorgeht. Schnell hinkt er bei Seite, um seine schwer
unterdrückten Schmerzenstränen nicht sehen zu lassen; von der
Unreinlichkeit ist er ein für alle Mal gründlich geheilt.
Am besten hat es der Täufling, welcher sich auf der ganzen Reise am
wenigsten zu Schulden kommen ließ, durch Wachsamkeit, Nüchternheit,
Sauberkeit und Verträglichkeit sich die beste Zensur erwarb. Für diese
Auserkorenen ist ein Extrataufbecken vorbereitet worden, nämlich ein an
den Zipfeln aufgehängtes und mit Seewasser gefülltes Segel, in das er
kopfüber gestürzt wird, während die Musik einen Tusch intoniert.
Dem Tohuwabohu wird jetzt ein rasches Ende bereitet durch die schrillen
Pfiffe der Bootsmannspfeife , die "alle Mann an die Arbeit" ruft
und "rein Schiff" kommandiert. Nach zwei Minuten ist der tolle
Spuk verschwunden, und nach weiteren wenigen Minuten sind auch die Spuren
auf Deck vertilgt, und die Planken glänzen wieder in tadelloser Ordnung
und Sauberkeit. Ein fröhliches Nachspiel folgt noch an Bord, wo ein
steifer Grog gebraut wird, der sowohl in den geheiligten Räumen der
Kajüte wie auch im Mannschaftslogis trefflich schmeckt und die Geister
des Frohsinns hoch aufsprudeln läßt.
"Nu segg mi blot, sind wie all 'röwer?" fragt anderen
Morgens Jens, dem der Grog noch unter der Schädeldecke brummt, seinen
Schlafkameraden; und als eine bejahende Antwort erfolgt, fährt er
brummend fort: Schall Een dat glöven! De Welt seiht hier jo akkurat so ut
as haben över den "Strich" ok!"
Quelle: Zur guten Stunde, Deutsches Verlagshaus Bong
& Co, 1893, von rado jadu 2001
*1) Krautkranz. "Kraut" nennt der Seefahrer im Allgemeinen
jedes im offenen Meer schwimmende pflanzliche Gebilde, mit Ausnahme ganzer
Baumstämme, insbesondere die langen mit schmalen Blättchen und hohlen
Beeren besetzten Ranken des Beerentang, "Zostera marina", die im
Zentrum des Atlantischen Ozeans auf Tausende von Meilen das Meer bedecken
und die "Sargassosee" ( welche westlich und südwestlich von der
Azoreninsel gelegen ist, und welche von Tangwäldern durchzogen ist.)
bilden.
*2) Scherzhafte Benennung aller der Personen auf Kriegsschiffen, die
keinen wirklichen Seedienst tun, z. B. Zahlmeister, Pastor, Arzt u.s.w.
Die Einteilung der Zeit an Bord eines Schiffes geschieht nach dem
Auslaufen eines halbstündigen Sandglases (Sanduhr) und wird von 1 bis 8
Glas (= 4 Stunden) gezählt, worauf wieder mit eins angefangen wird. Acht
Glas machen eine Wache aus.
Wachwechsel jeweils um 4, 8 und 12 Uhr.
Läuten mit der Schiffsglocke zur Angabe der Uhrzeit:
1/2h nach Wachbeginn = 1 Schlag mit der Schiffsglocke = 1 Glas;
1 Stunde nach Wachbeginn = 1 Doppelschlag (zwei kurze Schläge
hintereinander) = 2 Glasen
4 Stunden seit Wachbeginn und damit Wachende = 8 Glas.
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